Déjà-vu oder müssen Künstler politisch sein?
26.09.1992 / 21.05.2019

Asylbewerber sind verzweifelte Menschen, die in vielen Fällen vor Krieg, Gewalt und Folter fliehen. Um Menschen vor Verfolgung in ihrem Heimatland zu bewahren, gewährt die Bundesrepublik Denk-MalDeutschland diesem Personenkreis besonderen Schutz. Dieser Schutz ist zum einen alsModell DenkMal (1:10) 1992 Corten B Stahl 46 x 30 x 5 cm Grundrecht im Artikel 16a des Grundgesetzes verankert und zum anderen auf die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 zurückzuführen. Sich Einmischen als Künstler in die politische Debatte, mit diesem Vorhaben werden "Kunst und Politik" an einer Tradition gemessen, die lange Jahre brach zu liegen schien. Wie etwa Max Frischs pointierte Wortmeldung des "Patriotismus bis in die Niederungen der Xenophobie", mit der er gegen die Ausgrenzung von Ausländern eintrat. Unvergessen ist auch, wie Dürrenmatt die Schweiz als "Gefängnis der freiwilligen Insassen" verspottete: "Weil sie nur im Gefängnis sicher sind, nicht überfallen zu werden, fühlen sich die Schweizer frei." Das könnte auch auf andere Länder zutreffen. Nun zu meinem Projekt "DenkMal", das vor 27 Jahren als Spontanreaktion auf ein Protestschreiben des damaligen Lauenburger Bürgervorstehers entstand.

Zwei Monate später wurde, durch den Brandanschlag in Mölln am 23. November 1992, alles zur Denk-Malfurchtbaren Realität. Müssen Künstler in solchen Momenten politisch handeln? Darüber ist die Künstlergemeinde gespalten. Handelt es sich aber um öffentliche Aufträge, sind viele Künstler auch gerne bereit, politische Arbeiten auszuführen. Wenn es nach Ai Weiwei geht, sollten sie zumindest politisch interessiert sein und eine Projektionsfläche für Kritik bilden. Es hat sich nicht viel verändert in den letzten 27 Jahren, der Protest gegen Ausländerfeindlichkeit ist immer noch sehr verhalten. Selbst der türkische Teil der Bevölkerung verharrt in einer gewissen Schreckstarre. Statt dessen versucht man das Scheitern des Verfassungsschutzes und die Gewalteskalation der Rechtsextremisten damit zu vernebeln, in dem man ein Konzert besucht, Kerzen anzündet und ein NPD-Verbot forderte. Mit solchen Aktionen beruhigt man zwar vorübergehend sein Gewissen, aber an der Situation als solches wird nichts geändert. Es sei denn, Politiker und Richter kommen endlich aus der Deckung Denk-Malder Bürgerinitiativen und sind bereit, dieser Gefahr ein Ende zu bereiten. Aber vielleicht verlangt man auch zuviel von den Menschen? Nicht jeder hat den Mut zur Zivilcourage! Was bedeutet eigentlich "Zivilcourage"? Hier beziehe ich mich auf das Buch von Gerd Meyer "Lebendige Demokratie". Zivilcourage (oder gleichbedeutend sozialer Mut) ist ein bestimmter Typus sozial verantwortlichen Handelns. Zivilcouragiertes Handeln geschieht in Situationen, in denen zentrale Wertüberzeugungen und soziale Normen (z.B. Menschenwürde, Menschenrechte,Gerechtigkeit, friedlicher Konfliktaustrag unter Bürgern) oder die physische oder psychische Integrität einer Person verletzt werden. Zivilcouragiert handelt, wer bereit ist, trotz drohender Nachteile für die eigene Person, als Einzelner (seltener als Mitglied einer Gruppe) einzutreten für die Wahrung humaner und demokratischer Werte, für die Integrität und die legitimen, kollektiven, primär nicht-materiellen Interessen vor allem anderer Personen, aber auch des Handelnden selbst. Vier zentrale Merkmale unterscheiden Zivilcourage von Hilfe, Altruismus oder Solidarität, von Mut oderTapferkeit allgemein: Denk-Mal(1) Es gibt einen latenten oder manifesten Konflikt zwischen denen, die diese Werte und Normen verletzen und denen, die sich für ihre Bewahrung einsetzen. (2) Es gibt nicht immer leicht bestimmbare Risiken, das heißt, der Erfolg zivilcouragierten Handelns ist meist unsicher, und der Handelnde ist bereit, Nachteile in Kauf zu nehmen. (3) Zivilcouragiertes Handeln ist öffentlich, d.h. in der Regel sind mehr als zwei Personen anwesend. (4) Es gibt ein reales oder subjektiv wahrgenommenes Machtungleichgewicht zu Ungunsten dessen, der mutig handeln will, etwa weil er sich in einer Minderheits-/Mehrheitssituation in Gruppen oder in einem Verhältnis der Über-/Unterordnung bzw. einer Abhängigkeit befindet (die oft mit Anpassungsdruck verbunden sind).Gerd Meyer unterscheidet drei Arten des Handelns mit Zivilcourage: (1) Eingreifen zugunsten Denk-Malanderer, meist in unvorhergesehenen Situationen, in denen man schnell entscheiden muss, was man tut. (2) Sich-Einsetzen – meist ohne akuten Handlungsdruck – für allgemeine Werte, für das Recht oder die legitimen Interessen anderer, vor allem in organisierten Kontexten und Institutionen, wie z.B. in der Schule oder am Arbeitsplatz. (3) Sich-Wehren z.B. gegen körperliche Angriffe, Mobbing oder Ungerechtigkeit; zu sich und seinen Überzeugungen stehen, standhalten, sich behaupten; widerstehen, nein sagen, 'aus guten Gründen' den Gehorsam verweigern." (Gerd Meyer et. al: Zivilcourage lernen 2. Aufl. 2007, überarb. 2011) Dies erfordert Mut, da derjenige, der Zivilcourage zeigt, möglicherweise mit Sanktionen durch Autoritäten, Vertreter der herrschenden Meinung oder sein soziales Umfeld (z.B. einer Gruppenmehrheit) zu rechnen hat. Einige dieser Tatsachen waren mir bekannt, mit Leserbrief an die LNanderen habe ich nicht gerechnet. Z.B. mit der am Telefon ausgesprochenen Drohung: "Du dummes Judenschwein, wir zünden dir dein Haus an, wenn du nicht mit dem Denkmal für Ausländer aufhörst!" Nach dieser Drohung war leider keine Seite bereit, mir zu helfen. Im Gegenteil, einer der Kommunalpolitiker sagte darauf hin zu mir: "Sie sollten wieder das machen, was Sie eigentlich sind, Künstler. Ein Künstler schafft Kunstwerke, Plastiken, Bilder, irgend etwas, das die menschliche Seele erhebt. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn man Sie bedroht, wer sich so weit aus dem Fenster lehnt, muss schon mal damit rechnen..." Fazit: Da standen wir nun mit unseren Ängsten, mit Hilfe und Unterstützung war nicht mehr zu rechnen. Aus heutiger Sicht würde ich nicht mehr so naiv an ein Projekt heran gehen, sondern vieles anders machen.

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