Kunstverwandtschaften DYNAMIT

Das Krügersche Haus ist seit 1988 der Öffentlichkeit zugänglich. In der kurzen Geschichte als Museum hat es mit seinen bisherigen Aktivitäten ein multifunktionales Konzept verfolgt, mit dem die vielfältigen Interessen der Bewohner und Besucher Geesthachts zum Ausdruck gebracht werden sollen.Obwohl das Krügersche Haus schon durch sein Äußeres eine Brücke mit der Vergangenheit bildet, sollte es sich nicht als Heimatmuseum profilieren; vielmehr soll es ein Ort sein, der das emotionale Erlebnisumfeld des Gebäudes und seiner Geschichte mit einbezieht in eine Stadt fand "Dynamit" - Künstlermoderne Freizeitgestaltung.Die umfangreichen Sonderausstellungen, Vorträge, kulturellen und bildungspolitischen Veranstaltungen haben gezeigt, daß das Krügersche Haus in die Infrastruktur der Region integriert wurde und im kulturellen und sozialen Umfeld vielfältige Beiträge zu leisten vermag. Die Geesthachter Hauskulturtage, die in unregelmäßiger Folge verschiedeneThemenkomplexe konzentriert zur Darstellung bringen wollen, verzichten dann auch konsequent auf die Präsentation eines typischen Sammelsuriums musealer Gegenstände. Vielmehr stellen sie eine Aufforderung dar, sich mit bestimmten, ausgewählten Lebenszusammenhängen auseinanderzusetzen. Die diesjährigen Geesthachter Hauskulturtage greifen nun ein Thema auf, an dem sich viele Geister scheiden mögen: Moderne Kunst. Jede Zeit, jede Kultur bringt eigene Themen, eigene Formen hervor, die anfangs oft fremd oder unsinnig verfremdet erscheinen. Über dieses Fremde und die Verwandtschaften der einzelnen Formen soll auf vielfältige Weise geredet, musiziert, gestikuliert, reflektiert und kommuniziert werden. Anregung soll geboten werden, sich einen eigenen Weg zu suchen, um den oft befremdend anmutenden Aktivitäten vieler Künstler näherkommen zu können. Die Darstellerinnen und Darsteller der Geesthachter Hauskulturtage 1991 werden während dreier Tage exemplarisch ihre Form der Eindrücke zum Leitbild Feuerwerk von P.Mursch äußerte Professor StrombergerAuseinandersetzung, ihr Verständnis und ihr Zugehen und Umgehen mit zwei ausgewählten Produkten moderner Kunst - den Klanginstallationen von Ullrich Schmidt-Langhoff und einem Gemälde von Peter Mursch - aufdecken und neue Perspektiven eröffnen. Das Thema "Dynamit", mit dem sich Peter Mursch und Ullrich Schmidt-Langhoff für die Herstellung ihrer Exponate gestalterisch beschäftigt haben, ist eng verbunden mit Geesthacht und bildet Anlaß und Ausgangspunkt zu einer Entdeckung MODERNER KUNST! Die Geesthachter Hauskulturtage greifen mit dem Thema »Moderne Kunst« einen großen Aktivposten des momentanen kulturellen Interesses auf. Bildende Kunst kennt eine Desorientierung des Publikums seit längerer Zeit. Künstlerische Innovationen, wie etwa der Weg in die Abstraktion der Darstellung werden vom Publikum oft erst mit geraumer Verspätung anerkannt. Zeitgenössische Künstler werden auch heute nicht ohne weiteres angenommen oder Die zehnteilige Klanginstallation von Ullrich Schmidt-Langhoff verstanden. Das Publikum ist jedoch aufgeschlossener geworden: In einer Zeit, in der die individuelle Sinnsuche nicht mehr an traditionelle Institutionen wie Kirche oder ideologische Systeme gekoppelt werden kann, wenden sich viele Menschen der Kunst zu, um hier Antworten auf existentielle Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Aufgeschlossene Kunst soll die Verwandtschaft der Kunst zu anderen Lebensbereichen der Menschen auffällig werden lassen. Die Segmentierung der Kunst in einzelne Gattungen und Bereiche, die jede Form ihre Liebhaber und ihren Markt finden läßt, fördert nun einerseits eine scheinbare Exklusivität, erzeugt aber anderseits einen hermetischen Charakter. Das Konzept der Geesthachter Hauskulturtage basiert auf einer Unterstellung, nämlich, daß die Teilnehmer der P.Mursch Feuerwerk 1991 - 300 x 340 cm Acryl auf NesselVeranstaltungen die explosive Kraft der Kunst auch dann freisetzen könnten, wenn die ausgestellten Exponate dem einzelnen Besucher vorerst unverständlich und abgeschottet erscheinen mögen. Die geforderte Erkenntnis, daß Kunst der Auseinandersetzung bedarf, um sie sich zu eigen machen zu können, verlangt wiederum, daß manche traditionelle Wege des Zugangs zur Kunst infrage gestellt werden. Kunstliebe und -kennerschaft sind nicht nur eine Angelegenheit weniger professioneller Experten, sie sind auch nicht nur bildungsbürgerliche Verpflichtung, sondern in erster Linie Anregung und Aufforderung zum Genuß, zur Auseinandersetzung und zur Kommunikation. Diese implizite Aufforderung zur Begegnung sollte nicht nur in den ritualisierten Formen der Achtung und des (käuflichen) Erwerbens stattfinden, sondern auch der Spontaneität affektuellen und rationalen Erlebens überantwortet werden. Genau diese Spontaneität macht den explosiven Gehalt der Kunst. immer wieder deutlich. Welche Kraft kann freigesetzt werden, wenn akzeptiert wird, daß die Wege zur Kunst zwar "subjektiv" und oft beliebig sind, daß die Auseinandersetzung die Voraussetzung für neue Ideen, Orientierungen und Entwicklung von Selbstbewußtsein ist? Die Geesthachter Kulturtage verbinden diesen explosiven Charakter der Kunst der Moderne mit der Geschichte der Region, in der das Atomkraftwerk - und früher eine Sprengstoffabrik - den Umgang mit der Gefahr, die Kontrolle derselben und den aus ihr zu ziehenden Gewinn entscheidend beeinflussen. Die Verwandtschaft zwischen Nutzen und Gefahr, zwischen Lob und Verdammnis, zwischen Nähe und Distanz, zwischen Kontrolle und Eruption, zwischen Fortschritt und Gewohnheit, zwischen technischen und ästhetischen Reiz, spiegelt sich in der Einstellung zum Dynamit, dessen Kraft verwertbar gemacht werden will. Nutzen und Schaden der Explosivität sozusagen als Selbstreferenz der Kunst! Die zehnteilige Klanginstallation von Ullrich Schmidt-Langhoff und das Gemälde von Peter Mursch dienen im Rahmen der diesjährigen Geesthachter Hauskulturtage exemplarisch der Auseinandersetzung mit dem explosiven Potential der modernen Kunst. Die Verwandtschaft dieser Exponate mit anderen Formen der Darstellungsmöglichkeiten der Modernen Kunst soll im Wege der Interpretation und Auseinandersetzung aufgezeigt werden. Das Projekt will also versuchen, den oft hermetischen Charakter moderner, avantgardistischer Kunst zu transzendieren, in dem andere Künstler und Rezipienten entweder den thematischen Faden (hier "Kunstverwandtschaften: Dynamit") aufnehmen Den Abschluß bildete eine Talk-Rundeund in der Wahl ihrer künstlerischen und intellektuellen Mittel eine lebendige, abwechselungsreiche und subjektive (1) Interpretation erzeugen. Aufgezeigt werden sollte aber auch, daß Moderne Kunst nicht der Willkür oder der Inspiration der Künstler überantwortet ist, sondern durch die Geschichte und durch vielfältige Verwandtschaften geprägt ist. Die Geesthachter Hauskulturtage wollen Publikum und Akteure dazu auffordern, neue Wege zu beschreiten; wollen, daß Verwandtschaften erkannt, erstellt und gepflegt, daß Zugänge zur Kunst genutzt werden. Zur Auseinandersetzung bedarf es der Aufgeschlossenheit - zur Wahrnehmung ebenfalls. Dem Recht und die Pflicht des Künstlers, sich auf seine Art und Weise mit der Wirklichkeit zu beschäftigen, steht das Recht und die Pflicht des Publikums gegenüber, sich ebenfalls um Wahrnehmung und jeweils spezifische Integration in die eigene Erlebnis- und Vorstellungsweit zu bemühen. Die unreflektierte Be- und Verurteilung esoterisch erscheinender Kunstwerke aufzuheben, stattdessen immer neue Formen der Interpretation und Rezeption auszuprobieren, den Blick zu eröffnen auf Grundstrukturen Moderner Kunst - und den Blick auf Orte zu richten, an denen diese Kunst zu hause ist -, das ist Sinn und Zweck der diesjährigen Hauskulturtage.
Rolf Fechner

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